In der Nacht vom neunten auf den zehnten November 1938 machten sich SS-Männer in schwarzen Uniformen auf den Weg zur Synagoge in der Turnerstraße. Dort nutzten sie Brandbeschleuniger und Werkzeuge der Feuerwehr, um das jüdische Gotteshaus gezielt zu zerstören.
Dass diese Schreckenstat nicht allein vom faschistischen Regime ausging, sondern von breiten Bevölkerungsteilen Unterstützung erfuhr, verdeutlichte sich durch die gaffende Menge, durch Schulkinder, die frei bekamen, um an dem historischen „Schauspiel“ teilhaben zu können, durch eine Feuerwehr, die erst nach Stunden anrückte – nicht, um den Brand zu stoppen, sondern einzig und allein, um ihn von den Nachbarhäusern fernzuhalten.
Wie tief verwurzelt die Entmenschlichung von Juden*Jüdinnen und der Hass auf jüdisches Leben in der deutschen Gesellschaft bereits war, konnte auch an der Reaktion auf die Pogromnacht beobachtet werden, in der nicht nur die Synagoge zerstört, sondern 17 jüdische Geschäfte in Bielefeld verwüstet und teilweise geplündert wurden. Die Aktion stieß allgemein auf Zustimmung, es gab kaum öffentlichen Widerspruch.
Der 9. November 1938 markierte den Übergang von der Diskriminierung und Entrechtung von Juden*Jüdinnen in Deutschland hin zur systematischen Verfolgung und Vernichtung jüdischen Lebens. So wurden in der Pogromnacht bereits dutzende Juden*Jüdinnen verhaftet und nach Buchenwald gebracht, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten wurden. Einige fanden dort bereits den Tod.
Und ihnen sollten tragischer Weise noch viele Folgen. So kam es am 13. Dezember 1941 zur ersten Deportation von Bielefelder Juden*Jüdinnen nach Riga. Es folgten acht weitere u.a. nach Auschwitz, Warschau und Theresienstadt. Von den mindestens 420 deportierten Bielefelder Juden*Jüdinnen haben nur 48 die Shoah überlebt.
Auch wenn die grausamen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands durch nichts wieder gut gemacht werden könnten, hätte nach Kriegsende wenigstens eine lückenlose juristische Aufarbeitung der Geschehnisse in Bielefeld stehen können. Allerdings zeigten sich, wie auch an vielen anderen Stellen der Entnazifizierung, die verantwortlichen Stellen nachsichtig. So wurden zunächst fast 20 Rädelsführer ermittelt, das Verfahren vom Landgericht Bielefeld dann aber zunächst aus Mangel an Beweisen eingestellt und schlussendlich vollständig außer Verfolgung gesetzt. Auch die verhörten Feuerwehrleute wollten sich bei den Vernehmungen an keine Namen erinnern.
Von nichts gewusst? Von wegen!
Es ist eine Schande, dass Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Es ist eine Schande, dass antisemitischen Kontinuitäten bis heute fortbestehen.
Und so finden wir uns wieder in einer Zeit, in der der Hass auf jüdisches Leben sich wieder offen zeigt. In der Querdenken-Szene ernteten Vergleiche von Corona-Schutzmaßnahmen mit der industriellen Vernichtung jüdischen Lebens Applaus. Antisemitische Verschwörungsideologien verschiedener Couleur wachsen auf dem giftigen Boden der Stimmung, die diese Leute verbreiten, heran.
In einer Zeit, in der rechte Parteien in Europa im Aufwind sind, haben wir eine besondere Verantwortung rechten Bewegungen und Antisemitismus entschlossen entgegenzustehen. Es ist an uns sicherzustellen, dass es solche Schreckenszeiten nie wieder geben kann.
Kommt deshalb zur antifaschistischen Gedenkdemonstration am Jahrestag der Novemberpogrome, denn Gedenken heißt kämpfen!