Aufruf Gedenkdemo 2020

Zum 09. November in Bielefeld

Die Novemberpogrome 1938 bildeten auch in Bielefeld den Auftakt für die Shoah – den millionenfachen Mord an jüdischen Menschen. Nachdem sich die antisemitische Hetze bereits im Oktober 1938 unter anderem gegen das Schuhgeschäft Dessauer in der Niedernstraße gerichtete hatte, kam es in der Nacht vom 9. auf den 10. November zu einem gezielten und großangelegten Angriff auf jüdisches Leben in Bielefeld. Mitglieder von NSDAP, SS und SA sowie weitere Bürger*innen zündeten die Synagoge in der Turnerstraße an und zerstörten jüdische Geschäfte in der ganzen Stadt. Die vorher bereits informierte Feuerwehr löschte die brennende Synagoge nicht, sondern verhinderte nur, dass das Feuer sich auf die anliegenden Häuser ausbreitete.

Im Kontext der Novemberpogrome inhaftierten Polizei und SS zudem am frühen Morgen des 10. November zwischen 40 und 50 jüdische Männer. Sie wurden in das KZ Buchenwald deportiert und gezwungen ihr Eigentum und Vermögen völlig unter Wert zu verkaufen. Mindestens zwei von ihnen wurden innerhalb dieser Zeit ermordet.
Helga Ravn, ein damals 14 Jahre altes jüdisches Mädchen aus Bielefeld, beschreibt die Geschehnisse wie folgt: „Das Datum, der 9./10. November 1938, bedeutete nicht nur, dass alle Synagogen in Deutschland abgebrannt wurden, sondern dass die Nazis viele jüdische Männer verhafteten, dass man jüdische Geschäfte plünderte und die Scheiben zerschlug. Von da an wurde das Leben für uns Juden mehr und mehr unerträglich.“

Das Gedenken an die Opfer der Novemberpogrome und das Benennen der Täter*innen, die in dieser Nacht Synagogen, Häuser und Geschäfte anzündeten, ihre jüdischen Nachbar*innen verhöhnten, bedrohten und verletzten, ist ein wichtiger Bestandteil antifaschistischer Praxis.

Kein Schulterschluss mit Faschist*innen – Kontinuitäten benennen, antisemitische und rassistische Strukturen bekämpfen

Zur antifaschistischen Praxis gehört es auch, die gesellschaftlichen Strukturen zu benennen, die die nationalsozialistischen Verbrechen ermöglichten und Kontinuitäten aufzuzeigen. Denn auch heute 82 Jahre nach den Novemberpogromen treten rassistische, antisemitische und sexistische Ideologien wieder immer offener zu Tage.
in jüngster Vergangenheit zeigte sich das als tausende „besorgte Bürger*innen“ im Schulterschluss mit Nazis durch die Straßen liefen um wahlweise gegen Geflüchtete oder aber gegen die angebliche Corona – Verschwörung der Eliten zu demonstrieren. Nicht zuletzt wurde dies durch personelle Überschneidungen zwischen den Bielefelder ‚Corona-Demos‘ und den Haverbeck-Aufmärschen der letzten Jahre deutlich. Auch die vermeintlichen ‚Einzeltäter‘ von Halle und Hanau hingen antisemitischen Verschwörungsmythen an. Nicht erst die NSU-Morde, der Angriff auf die Synagoge in Halle, die Morde von Hanau und all die anderen rassistischen, antisemitischen und sexistischen Beleidigungen, Übergriffe und Gewaltakte, die tagtäglich in Deutschland verübt werden, machen deutlich, dass es Zeit ist, Position zu beziehen, nicht mehr nur bestürzt zu sein, sondern auch zu handeln.

Dass die Behörden im Kampf gegen alte und neue Nazis nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind, zeigt sich nicht erst seitdem allerorten rechte Netzwerke innerhalb der Polizei aufgedeckt werden. Verfassungsschutz und Polizei haben über Jahre die rassistischen Morde des NSU-Komplexes mit ermöglicht, statt sie aufzuklären und zu stoppen. Die Black Lives Matter Bewegung prangert aktuell Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt an, die für viele PoC in Deutschland nach wie vor zum Alltag gehören. Kritik am strukturellen Rassismus wird innerhalb des Polizeiapparates nicht gehört, sondern abgewehrt. Es sollte daher klar sein, dass die Polizei in Bezug auf Rassismus und das Naziproblem weder Freund noch Helfer sein kann. Um Naziaufmärsche zu verhindern, müssen wir selbst aktiv werden. Das gilt auch hier in Bielefeld!

Deswegen heißt Gedenken zugleich auch kämpfen!

In den letzten drei Jahren marschierten rund um den 9. November Neonazis aus verschiedenen Spektren1 durch Bielefeld, um ihre Unterstützung für die Antisemitin und Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zu demonstrieren, die seit 2018 wegen Volksverhetzung in der JVA Brackwede einsitzt. Die Daten der Aufmärsche waren bewusst gewählt, um den Gedenktag, der den jüdischen Opfern des Nationalsozialisten gewidmet ist, für rassistische, antisemitische, geschichtsrevisionistische und faschistische Hetze zu vereinnahmen.

Das an diesem Jahrestag Neonazis unter dem Schutz der Polizei durch Bielefeld ziehen, die Shoah leugnen, Hitlergrüße zeigen und Gegendemonstrant*innen angreifen finden wir unerträglich. Das dürfen wir nicht hinnehmen!Denn die Geschichte hat gezeigt, wohin rechte Ideologie führen kann. Deshalb gilt es auch heute, sich den Faschist*innen entschieden in den Weg zu stellen.

Das Antifaschistische Bündnis Bielefeld ruft deswegen auch für 2020 dazu auf, einen erneuten Haverbeck-Aufmarsch geschlossen zu blockieren. Bislang ist zwar aus verschiedenen Gründen noch unklar, was genau die Haverbeck-Unterstützer*innen in den nächsten Monaten und speziell im November vorhaben. Fest steht allerdings, dass Haverbeck Anfang November vorerst ihre Haftstrafe abgesessen haben wird. Wir bereiten uns dennoch darauf vor, den Nazis entschlossen entgegenzutreten, sie zu stören, wo es geht und einen Aufmarsch zu verhindern.

Kommt zur antifaschistischen Gedenkdemo am 09.11.2020 um 18 Uhr am Hauptbahnhof Bielefeld!


Achtet auf Ankündigungen und beteiligt euch an antifaschistischen Gegenaktivitäten zum Naziaufmarsch. Hier und heute, morgen, übermorgen & überall!

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